Computerspielsucht: Gleiche Symptome wie bei Alkoholsucht

stern TV – Sendung vom 05.05.2010

„Sie sitzen rund um die Uhr am Computer, schaffen es kaum, den Alltag zu bewältigen, haben keine sozialen Kontakte: Acht bis zehn Prozent aller Computerspieler sollen süchtig sein. Woran man die Sucht erkennt.

Zigaretten, Alkohol, Drogen – dass man danach süchtig sein kann, ist bekannt. Doch was ist mit der Sucht nach Computerspielen? „Die Suchtsymptome sind die gleichen wie bei anderen, ‚klassischen‘ Süchten“, sagt die Psychologin Chantal Mörsen, die an der Berliner Charité das Projekt Glücksspielsucht leitet. „Es kommt zu Kontrollverlust, der Süchtige kann sein Verhalten nicht steuern.“

Spielsucht und Alkoholabhängigkeit vergleichbar
Wer süchtig nach Computerspielen ist, zieht sich oft komplett aus der realen in die virtuelle Welt zurück. „Viele waschen sich nicht mehr, gehen nicht mehr raus, nehmen Aufputschmittel, um länger spielen zu können“, sagt Chantal Mörsen. Und: „Manche gehen nicht einmal mehr aufs Klo, sondern pinkeln am Schreibtisch in Wasserflaschen.“ Häufige Folgen: Verwahrlosung, schlechte Ernährung, Krankheiten.

Eine neue Studie der Charité Berlin besagt sogar: Onlinespielsucht und Alkoholabhängigkeit sind durchaus vergleichbar. „Beim Alkoholiker und beim Computerspielsüchtigen werden die gleichen Hirnregionen aktiviert“, sagt Mörsen. Die Reize, die den Suchtdruck auslösen, sind dabei vielfältig: „Das können Fotos von Spielszenen sein oder einfach Stimmungen, die man mit dem Spiel verbindet.“

Warum machen Computerspiele überhaupt süchtig? Wieviele Stunden können Jugendliche bedenkenlos spielen – und wo gibt es Hilfe für Betroffene? stern TV hat Antworten.

Warum machen Computerspiele süchtig? Das höchste Suchtpotenzial unter den Computerspielen haben sogenannte Online-Rollenspiele, wie etwa „World of Warcraft“. Der Spieler schlüpft dabei in die Rolle einer Fantasiefigur, die gemeinsam mit anderen bestimmte Aufgaben erledigen muss. Und: Je mehr Aufgaben sie erledigt, desto mehr Punkte gibt es – und desto höher steigt der Spieler in der Hierarchie im „World of Warcraft“-Kosmos.

Dass Online-Rollenspiele eher suchtbildend als herkömmliche Computerspiele sind, hängt von drei Faktoren ab:

1. Die Spiele haben keine Pause und kein Ende: Das Spiel läuft auch bei Abwesenheit des Spielers weiter. Er läuft ständig Gefahr, etwas zu verpassen.
2. Aufgaben im Spiel werden stets in der Gruppe erledigt. Der Spieler empfindet eine Verantwortung seinen Mitspielern gegenüber, möglichst ständig zur Verfügung zu stehen.
3. Wenn er viel Zeit investiert, bekommt der Spieler soziale Anerkennung im Spiel. Viel Spielzeit bedeutet einen hohen Rang in der Spielhierarchie.

Wie viele Menschen sind süchtig nach Computerspielen? Medien berichten davon, dass ungefähr drei Prozent der Jugendlichen spielsüchtig sind. Und eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen geht davon aus, dass 8,5 Prozent der „World of Warcraft“-Spieler suchtartiges Verhalten zeigen – mit Entzugssymptomen und Kontrollverlust.

Die Psychologin Chantal Mörsen, die an der Berliner Charité das Projekt Glücksspielsucht leitet, sagt dagegen, dass zwar etwa 70 Prozent der Jugendlichen und 40 Prozent der Erwachsenen am Computer spielen. Verlässliche Zahlen, wie hoch der Anteil der Süchtigen sei, gebe es allerdings nicht.

Wann spricht man von Computerspielsucht? Die Leiterin des Projekts Glücksspielsucht an der Berliner Charité, Chantal Mörsen, sagt, dass es keine klare Faustregel gibt, ab wann ein Spieler „süchtig“ ist: „Nur Spielstunden zu zählen, reicht nicht“, sagt sie. Denn: „Viele Spieler haben zwischendurch Phasen, in denen sie exzessiv spielen, zum Beispiel während einer Krankheit oder im Urlaub. Das ist ganz normal.“ Ein wichtiger Indikator sei aber, dass der Spieler über einen längeren Zeitraum exzessiv spiele. Dabei handelt es sich laut Expertin um einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten, bevor die Diagnose Spielsucht gestellt wird.

Wichtig sei vor allem auch die Frage, wie sehr der Spieler in seinem Alltag durch das Spiel eingeschränkt wird und inwiefern er die Spieldauer noch kontrollieren kann. Acht bis zehn Stunden seien „auf jeden Fall bedenklich“, wenn auch nicht zwangsläufig das Zeichen einer Sucht, sagt Mörsen. Und: Jugendliche seien ab einer Spielzeit von vier Stunden täglich „auffällige Extremspieler“, deren Spielverhalten man beobachten sollte.

Wo finden Betroffene Hilfe? Eine anonyme und kostenlose Beratung für Betroffene und Angehörige bietet das Kompetenzzentrum Verhaltenssucht der Universitätsmedizin in Mainz an.

Die kostenlose Hotline ist werktags von 12 bis 17 Uhr unter der Telefonnummer 0800/1529529 zu erreichen. Dort bekommen Betroffene auch Kontakte zu Beratungs- und Therapiestellen in ihrer Nähe.“

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